Skandinavische Kinder lernen ganzheitliches Lesen, österreichische tasten sich Buchstaben für Buchstaben vor. Am Satzende haben sie den Anfang vergessen.
1000 Wörter pro Minute könnte unser Gehirn aufnehmen, denn so schnell denkt es auch. Die brachliegende und damit gelangweilte Kapazität ist schuld, dass unsere Konzentration abgelenkt wird, meint der schwedisch-stämmige Speed Reading-Trainer Göran Askeljung. Seine elf Quick-Tipps helfen beim Erfassen und Merken aller Texte.
Tipp 1: Kein lautloses Mitsprechen.
Subvokalisieren im Kopf kostet Zeit und bringt gar nichts. Nordische Schulkinder haben hier einen unbeabsichtigten Vorteil. Weil in Skandinavien Fernsehfilme grundsätzlich in Englisch mit Untertiteln laufen, trainieren die Schüler blitzartiges Erfassen des Wesentlichen ohne geistiges Mitsprechen. Auch deswegen schneiden sie in der PISA-Studie so gut ab.
Tipp 2: Kein Zurückspringen im Text.
Unwillkürlich oder bewusst springen wir ständig im Text zurück, meist um Zusammenhänge zu bestätigen. Solche Regression behindert nicht nur das Tempo, sondern lässt auch die Leseinformation zerhackt im Gehirn ankommen. Es erfordert allerdings Übung, sich das Zurückspringen abzugewöhnen.
Tipp 3: In Sinngruppen lesen.
Nicht auf der Wort- oder gar Buchstabenebene kleben bleiben, sondern „hoch-chunken“. Also Wortbündel, Satzglieder (also die Worte zwischen zwei Satzzeichen) oder ganze Sätze mit einem Blick erfassen. Profis schaffen gar ganze Absätze.
Tipp 4: Spaltenbreite nutzen.
Die meisten Menschen können drei bis vier Worte scannen. Sechs sollten das Ziel sein, auf das man hintrainiert. Raten Sie einmal, warum Zeitungsspalten höchstens sechs Wörter breit sind.
Tipp 5: Ganzseitige Texte nicht diagonal lesen.
Entsprechend der obigen Sechs-Worte-Regel würden damit Informationen in den unberücksichtigten Seitenecken verloren gehen. Besser ist, das Blatt gedanklich in drei gleich breite Spalten zu teilen und pro Zeile ein Reizwort in der linken, eines in der mittleren und eines in der rechten Spalte zu erfassen. Das Auge „springt“ dann blitzschnell von Punkt zu Punkt, statt wie üblich über die Zeilen zu gleiten.
Tipp 6: An der Oberfläche bleiben.
Wer ein Wort erkennt, aus dem sich der Sinn des ganzen Absatzes erschließt, kann gleich zum nächsten springen. Keine Frage, das spart Zeit. Für Dichter und Autoren, die hingebungsvoll an ihren Formulierungen gefeilt haben, ist es ein Gräuel.
Tipp 7: Keine Lesehilfen verwenden.
Mitlaufende Stifte, Zeigefinger oder Lineale halten auf. Das Auge muss lernen, raschestmöglich die Seiten abzutasten. Wie beim sportlichen Muskelaufbau geht man auch beim Speed Reading an die äußerste Grenze des Machbaren. Interessanterweise behält man deswegen nicht weniger Inhalt.
Tipp 8: Sinnvolles in den Langzeitspeicher.
Generelle Regel: 99 Prozent aller visuellen Informationen rutschen durch den Filter. Nur ein Prozent wandert in den Kurzzeitspeicher, wo es gerade mal 30 Sekunden behalten wird. Beim Buchstaben-für-Buchstaben-Lesenlernen ist der Satzanfang also längst vergessen, wenn das Ende erreicht ist. Nur was Sinn macht, wird in den Langzeitspeicher geschoben.
Tipp 9: Beide Gehirnhälften aktivieren.
Bekanntlich ist die linke Gehirnhälfte für Logik zuständig, die rechte für Emotionen. Wer es schafft, einen Sachstoff mit Emotionen zu verbinden, behält ihn länger.
Tipp 10: Personalisieren.
Auch Textpassagen zu markieren oder färbig anzustreichen emotionalisiert sie, weil sie damit als „meins“ angesehen werden. Mindmaps helfen ebenfalls bei der Vernetzung im Gehirn.
Tipp 11: Wiederholen.
Gemäß der Ebbinghaus’schen Vergessenskurve ist bereits nach 24 Stunden nur mehr ein Drittel der Informationen vorhanden. Jede Wiederholung hebt diesen Wert. Auch hier wird beim Speed Reading Irrelevantes übersprungen, ebenso ausreichend Verstandenes. Am Beispiel eines bis ins Detail wichtigen Gesetzestextes empfehlen sich sechs Durchgänge: sehr schnelles Scannen, schnelles Überfliegen, etwas detaillierteres Überfliegen, schnelles Lesen (ohne Rücksprünge), vertiefend in den Text eingehen und Einprägen. Trotz fünffacher Wiederholung geht das schneller als übliches Lesen.
(“Die Presse“, Print-Ausgabe, 5.11.2011)
Über den Autor Göran Askeljung
Prof. (op) Göran Askeljung – BcEE, ist Business Trainer bei askeljung.com und Geschäftsführer und Senior Trainer bei immediate effects. Seit 2016 ist Göran Askeljung auch Certified Facilitator und Associate von Consensus in NY, und leitet Consensus Austria und Germany. Als Professor of Practise (op) am Georgian School of Management (GSOM) leitet er das Institut für Sales and Negotiations. Er ist Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF). Göran ist auch als Trainer, Coach und Consultant für Consensus Group (NY, US), The Forum Corporation (UK), eBda (Fr) undNapier Training Associates (UK) tätig. Er ist zertifiziert im Solution Selling® von der SPI University in USA. Seine Arbeit umfasste Tätigkeiten als Trainer und Coach für Produktivität, Verkauf, Vertriebsmanagement, Key-Account Management, Lösungsvertrieb, Verhandlungstaktik, Verhandlungsführung, Rhetorik und Präsentationen. Göran wurde 1967 in Schweden geboren und lebt seit 1990 in Wien. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch. Lebenslauf und Werdegang: Oxford Encyclopedia | LinkedIn | XING
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