Interview
Nie wieder mit Stützrädern
vom 16.04.2013, 15:29 Uhr
“Wiener Zeitung“: Sie behaupten, je schneller jemand lesen kann, desto mehr versteht er auch vom Text. Wie ist das möglich?
Göran Askeljung: Wenn wir, statt Wort für Wort zu lesen, ganze Wortgruppen auf einmal ins Auge fassen, erkennen wir Sinngruppengebilde. Das heißt, wir nehmen sofort eine ganze Aussage auf. Dadurch wird über den Sehnerv gleich ein sinnvoller Zusammenhang ans Hirn weitergeleitet, den wir verinnerlichen können. Würden wir jedes einzelne Wort ans Gehirn schicken, müsste es sich die Zusammenhänge erst zusammenreimen. Wir beliefern das Hirn also nicht mit einzelnen Ziegelsteinen, um ein Haus zu bilden, sondern gleich mit ganzen Fertigteilwänden.
Die Teilnehmer Ihrer Seminare schaffen im Schnitt 220 Wörter pro Minute, bei einer Verständnisrate von 60 Prozent. Das entspricht dem europäischen Mittel. Wie lange und wie intensiv muss man üben, bis sich die Lesegeschwindigkeit zum Beispiel verdoppelt?
In zwei Tagen “BrainRead”-Intensivtraining ist es möglich, die Leseeffizienz zu verdreifachen. Das bedeutet ein höheres Tempo und auch mehr Verständnis.
Wie kann ich sicherstellen, dass ich nicht wieder in meine alten Lesegewohnheiten zurückfalle, zum Beispiel im Urlaub am Strand?
Wenn Sie am Strand Bücher lesen, passiert das bestimmt nicht. Aber Scherz beiseite: Lesen ist wie Fahrrad fahren. Haben Sie die Stützräder einmal abgelegt, brauchen Sie sie nie wieder. Ganzheitliches Lesen in Wortblöcken werden Sie nie wieder verlernen, wenn Sie es einmal beherrschen.
Der schnellste Leser der Welt schafft angeblich 3850 Wörter pro Minute, bei 100 Prozent Verständnisrate. Das klingt nach dem berühmten “fotografischen Gedächtnis”. Gibt es das wirklich?
Ich habe tatsächlich einmal jemanden kennengelernt, der über drei Lesetests hinweg mit 3000 Wörtern pro Minute und 90 Prozent Verständnisrate lesen konnte. Er meinte, dass er bei den Fragen den Text wie ein Bild innerlich noch ablesen konnte. Er hatte also die Antwort nicht wirklich parat, also den Text beim Lesen nicht verstanden, sondern er verglich nur Bilder, so als ob man Piktogramme vergleicht. Die gesparte Zeit beim Lesen selbst hat er dann beim Antworten wieder investieren müssen, um die Antwort aus seinem Gedächtnisbild herauszulesen. Somit hilft das fotografische Gedächtnis beim Lesen und Verstehen nicht wirklich. Cool bleibt es trotzdem, aber das ist nicht lernbar. Das ist eher eine genetisch bedingte Veranlagung, die weniger als ein Promille der Bevölkerung in sich hat.
Sie sagen, es sei gar nicht nötig, 100 Prozent eines Textes zu verstehen. Warum?
Was bedeutet 100 Prozent Verständnis? Dass ich die Aussagen verinnerlicht habe und mich auskenne? Oder dass ich alles verbatim wiedergeben kann – Wort für Wort? Die wesentlichen Teile eines Textes machen selten mehr als 70 bis 80 Prozent des Textvolumens aus. Das effiziente Filtern eines Textes, um das Wesentliche herauszulesen, ist heute eine sehr wichtige Kompetenz geworden.
Über den Autor Göran Askeljung
Prof. (op) Göran Askeljung – BcEE, ist Business Trainer bei askeljung.com und Geschäftsführer und Senior Trainer bei immediate effects. Seit 2016 ist Göran Askeljung auch Certified Facilitator und Associate von Consensus in NY, und leitet Consensus Austria und Germany. Als Professor of Practise (op) am Georgian School of Management (GSOM) leitet er das Institut für Sales and Negotiations. Er ist Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF). Göran ist auch als Trainer, Coach und Consultant für Consensus Group (NY, US), The Forum Corporation (UK), eBda (Fr) undNapier Training Associates (UK) tätig. Er ist zertifiziert im Solution Selling® von der SPI University in USA. Seine Arbeit umfasste Tätigkeiten als Trainer und Coach für Produktivität, Verkauf, Vertriebsmanagement, Key-Account Management, Lösungsvertrieb, Verhandlungstaktik, Verhandlungsführung, Rhetorik und Präsentationen. Göran wurde 1967 in Schweden geboren und lebt seit 1990 in Wien. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch. Lebenslauf und Werdegang: Oxford Encyclopedia | LinkedIn | XING
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