Wenn der Bauch spricht und der Kopf nicht zuhört
Intuition? Intuitiv entscheiden? Was geht Ihnen durch den Kopf – oder besser durch den Bauch – wenn Sie das lesen? Intuitiv zu entscheiden hat in gewissen Branchen und in höheren Etagen nicht gerade einen guten Ruf. Anders als im Sport, wo man einem Fußballspieler zu einer gelungenen Bauchentscheidung gratuliert und ihm umgekehrt eine weniger gelungene Bauchentscheidung auch nicht übelnimmt.
Im Sport, wie auch in vielen Berufen, müssen Entscheidungen oft in Sekundenbruchteilen getroffen werden. Keine Zeit, lange Fakten abzuwägen oder Alternativen zu begrübeln. Notfallchirurgen, Börsenmaklerinnen, Feuerwehrleute – sie alle sind Vielentscheider. Nicht nur das – sie müssen auch unter Zeitdruck entscheiden und: ihre Entscheidungen haben weitreichende Folgen. Natürlich sind viele Situationen Routine und die Entscheidungen fallen dann fast von selbst. Sehr oft herrscht aber auch faktische Unsicherheit und dennoch ist klar: eine Entscheidung muss jetzt sofort her. Intuitiv entscheiden
Die Sprache des Bauches
Die Intuition ist eine tolle Sache. Denn sie verbindet Generationserfahrung, individuelle Erfahrung und momentane Wahrnehmung. Über einen komplexen Wirkungskreis kombiniert die Intuition aus diesen drei Aspekten die Basis, aufgrund derer wir Bauchentscheidungen treffen. Dieses Zusammenspiel ist uns aber völlig unbewußt und wir können maximal ein Gefühl wahrnehmen, das uns ein Signal für unsere Entscheidung gibt. Dieses Gefühl muss übrigens nicht immer im Bauch sitzen. Es kann auch ein Kribbeln in den Beinen sein, das Zucken eines Augenlids oder ein Kälteempfinden in den Fingern. Diese Gefühle nannte der portugiesische Neurowissenschaftler António Damasió somatische Marker. Die somatischen Marker sind die Übersetzung von Emotionen, die uns einen Hinweis darauf geben, wie unser Körper sich in einer bestimmten Situation entscheiden würde. Die Emotion könnte z.B. Sicherheit sein, der somatische Marker dazu ein Schweregefühl in den Füßen. Die Emotion Angst könnte sich z.B. als ein Taubheitsgefühl in den Zehen bemerkbar machen. Welche Signale uns der Körper sendet ist sehr individuell.
Welche somatischen Marker in Ihnen schlummern, können Sie herausfinden: kramen Sie einfach in Ihren Erinnerungen und rufen Sie sich Situationen ins Gedächtnis, in denen Sie traurig, fröhlich, sicher, ängstlich etc waren. Intuitiv entscheiden
Ohne Gefühle keine Entscheidungen
Zurück zu den Vielentscheidern. Ist es denn nicht fahrlässig, gerade wenn auch Menschenleben betroffen sind, aus dem Bauch heraus zu entscheiden? Zunächst mal kann ich Ihnen versichern: auch Sie könnten ohne Beteiligung Ihrer Gefühle vermutlich überhaupt nichts entscheiden. Selbst wenn Sie der Meinung sind, nur auf Grundlage von Fakten zu urteilen – ohne die bunte Palette Ihrer Gefühle geht gar nichts. Dazu gibt es unzählige Studien und Versuche. Der bekannteste ist wohl der Fall des Amerikaners Phineas Gage, dessen limbisches System (Sitz der Emotionen) bei einem Unfall vollständig zerstört worden war. Der Mann funktionierte auf den ersten Blick weiterhin tadellos. Relativ schnell allerdings wurden massive Verhaltensänderungen ersichtlich. Unter anderem die völlige Unfähigkeit, Entscheidungen zu fällen. Intuitiv entscheiden
Muster machen Experten
Viel Erfahrung hilft natürlich beim Entscheiden. Aber nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken, durch überlegtes Abwägen. Denn unter Zeitdruck und dem Wissen, dass von meiner Entscheidung auch Leben abhängt, kann mein Kopf meine Erfahrungen nicht schnell genug abrufen, bewerten und in Zusammenhang mit der anstehenden Situation bringen. Der Bauch übersetzt viel schneller und gibt den entscheidenden Hinweis, was jetzt zu tun ist. Das geschieht durch Erfahrungsmuster. Die Erfahrungen, die Sportler, Ärztinnen, Piloten in tausenden von Stunden gesammelt haben, werden in einem Muster abgebildet. Dieses Muster wird intuitiv erkannt und dann entsprechend gehandelt.
Wenn der Kopf dazwischenquatscht
Es gibt erstaunliche und sehr unterhaltsame Experimente, die zeigen, wie oft der Bauch dem Kopf überlegen ist. Eines meiner Lieblingsexperimente zeigt auch, wie der Kopf dem Bauch so richtig in die Quere kommen kann. Ap Dijksterhuis bat kundige Fußballfans vor der Fußball-WM 2006, die Ergebnisse der Vorrundenspiele zu tippen. Diejenigen, die mehr Zeit zum Nachdenken hatten, lagen viel öfter daneben, als diejenigen, die spontan getippt hatten. Die Ersteren nach ihren Argumenten befragt, gaben die abenteuerlichsten Begründungen an: das Team aus Tunesien spiele ja in Berlin, wo viele muslimische Fans zum Anfeuern kommen werden. Also wird Tunesien gewinnen. Die Spontantipper hielten sich schlicht an die Weltrangliste. Hier liegt soetwas wie ein Muster vor. Der Bauch greift einfach schnell zu, während der Verstand sich von allen Fakten – seien sie auch noch so nebensächlich – ablenken lässt.
Der Grund, warum wir das tun, ist eine Nebelkerze unseres Egos. Wir vermeinen mit gründlicher Abwägung der Faktenlage alles unter Kontrolle zu haben. Dabei werden wir niemals alle Fakten kennen und vor allem: welche Fakten wir zu Rate ziehen, entscheidet auch zum Großteil unser Bauch. Das wiederum ist der kognitiven Dissonanz geschuldet, die mit einfachen Worten besagt: “Ich mach mir die Welt widewide wie sie mir gefällt”. Und was mir nicht gefällt, nehme ich einfach nicht zur Kenntnis.
Über den Autor Göran Askeljung
Prof. (op) Göran Askeljung – BcEE, ist Business Trainer bei askeljung.com und Geschäftsführer und Senior Trainer bei immediate effects. Seit 2016 ist Göran Askeljung auch Certified Facilitator und Associate von Consensus in NY, und leitet Consensus Austria und Germany. Als Professor of Practise (op) am Georgian School of Management (GSOM) leitet er das Institut für Sales and Negotiations. Er ist Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF). Göran ist auch als Trainer, Coach und Consultant für Consensus Group (NY, US), The Forum Corporation (UK), eBda (Fr) undNapier Training Associates (UK) tätig. Er ist zertifiziert im Solution Selling® von der SPI University in USA. Seine Arbeit umfasste Tätigkeiten als Trainer und Coach für Produktivität, Verkauf, Vertriebsmanagement, Key-Account Management, Lösungsvertrieb, Verhandlungstaktik, Verhandlungsführung, Rhetorik und Präsentationen. Göran wurde 1967 in Schweden geboren und lebt seit 1990 in Wien. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch. Lebenslauf und Werdegang: Oxford Encyclopedia | LinkedIn | XING
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