Schnell Lesen und tiefes Lesen – kein Widerspruch
Wer den letzten Artikel gelesen hat, mag sich vielleicht gefragt haben, was unsere Kinder denn noch alles machen sollen. Wie effizient wir sie denn noch haben wollen. Warum können sie nicht einfach nur Spaß beim Lesen haben? BrainRead für Kinder? Sonst noch was?
Ich gebe diesen Leserinnen und Lesern völlig recht. Kinder und Jugendliche heutzutage haben deutlich mehr zu leisten, als vor 20 Jahren. Oft sind die Erwartungen aus dem Elternhaus hoch. Es werden Förderkurse besucht; bei einer Zwei im Zeugnis wird mit Lehrern und manchmal sogar mit der Direktorin verhandelt.
Mehr UND gründlicher
Ich möchte deshalb mit einem Mißverständnis aufräumen: BrainRead® oder Speed Reading ist nicht nur dafür da, möglichst viel Information aufnehmen zu können, sondern auch besser, tiefer verarbeiten zu können. Unser Gehirn ist nämlich dafür gemacht, schnell zu lesen. Sonst langweilt es sich, fängt an zu mäandern und wir können dem Text nicht mehr folgen. Tatsache ist: noch immer hören wir beim Lesen lernen kurz vor dem Ziel auf.
Natürlich ist es sehr genussvoll, sich ganz tief in einem Text zu vergraben. Jedes Wort aufzunehmen und dem Klang der Worte durch die innere Stimme zu lauschen. Wenn wir aber Schnell-Lesetechniken beherrschen, haben wir die Wahl. Wir können so lesen, wie es dem Text entspricht und wie wir Lust haben. Es käme wohl niemand auf die Idee vorzuschlagen, “Krieg und Frieden”, “Die Wahlverwandschaften”, “Sinn und Sinnlichkeit” im Schnell-Lesetempo zu lesen (außer vielleicht um eine umfangreiche Leseliste abzuarbeiten).
Tiefes Lesen
Das “Tiefe Lesen” wird oft als Gegenpol zum Schnell-Lesen dargestellt. Schnell-Lesen wird dann auch gerne als üble Nebenwirkung des Lesens im Internet diagnostiziert. Ich bin auch der Meinung, dass uns die Informationsmenge dazu verleitet, zu oberflächlich über die Seiten zu huschen. Vor allem aber sind wir geneigt, beim kleinsten Anzeichen von Langeweile, die Seite zu verlassen und flugs woanders hinzuspringen. Dieses Leseverhalten hat aber mit Schnell-Lesen nichts zu tun.
Ganz im Gegenteil kann Schnell-Lesen eine hilfreiche Ergänzung zum tiefen Lesen sein. Was aber versteht man unter tiefem Lesen?
Beim tiefen Lesen geht es nicht darum, einfach langsam zu lesen (obwohl es im Englischen gerne auch mit “Slow Reading” etikettiert wird). Es geht vielmehr darum, was wir mit dem Text machen, den wir gerade aufgenommen haben. Tiefes Lesen fördert:
- schlussfolgernd zu denken
- Analogien zu bilden
- zu analysieren
- zu reflektieren
- Erkenntnisse zu gewinnen
Mit dem Schnell-Lesen verfolgt man genau die gleichen Ziele. Schwierige Texte verlangen neben der Schnell-Lesetechnik natürlich noch ein paar andere Dinge: komplexe Abschnitte werden mehrmals gelesen; man macht sich zusammenfassende Notizen; notiert Querverweise und Fragen an den Text. Warum sollte das nicht gehen, wenn man schnell liest?
Kinder an tiefes Lesen heranführen
Kinder sollten früh genug erfahren, was man alles mit Lesen (abgesehen vom reinen Genuss) erreichen kann – nämlich genau die oben genannten Punkte.
Die verschiedenen Ziele von tiefem Lesen können Sie mit Ihren Kindern schon verfolgen, wenn sie selbst ihnen noch vorlesen. Dazu müssen Sie eigentlich gar nicht viel machen. Stellen Sie einfach Fragen. Hören Sie aufmerksam zu. Teilen Sie Ihre eigenen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen (aber ohne Ihr Kind zu korrigieren). Stellen Sie Verbindungen zu anderen Büchern her, die Sie bereits gelesen haben. Besorgen Sie weiterführende Literatur, um Wissen zu vertiefen.
Wenn Ihre Kinder dann selbst lesen, lassen Sie sich erzählen, was sie gelesen haben. Vielleicht können Sie auch das gleiche Buch lesen und im Anschluß – wie in einem Buchklub – gemeinsam Fragen erarbeiten und darüber räsonieren. Sie werden erstaunt sein, was Sie von Ihren Kindern dabei lernen können – nämlich den unverstellten Blick. Für Kinder ist noch alles möglich. Wo wir Schwierigkeiten sehen, zucken Kinder oft mit den Schultern und haben bereits eine Lösung parat. Bleiben Sie neugierig, damit auch Ihre Kinder neugierig bleiben. Denn wer neugierig ist, macht sie auf die Suche – auch in Büchern!
Über den Autor Göran Askeljung
Prof. (op) Göran Askeljung – BcEE, ist Business Trainer bei askeljung.com und Geschäftsführer und Senior Trainer bei immediate effects. Seit 2016 ist Göran Askeljung auch Certified Facilitator und Associate von Consensus in NY, und leitet Consensus Austria und Germany. Als Professor of Practise (op) am Georgian School of Management (GSOM) leitet er das Institut für Sales and Negotiations. Er ist Vorstandsmitglied in der Schwedischen Handelskammer in Österreich und Mitglied des Beirats von Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF). Göran ist auch als Trainer, Coach und Consultant für Consensus Group (NY, US), The Forum Corporation (UK), eBda (Fr) undNapier Training Associates (UK) tätig. Er ist zertifiziert im Solution Selling® von der SPI University in USA. Seine Arbeit umfasste Tätigkeiten als Trainer und Coach für Produktivität, Verkauf, Vertriebsmanagement, Key-Account Management, Lösungsvertrieb, Verhandlungstaktik, Verhandlungsführung, Rhetorik und Präsentationen. Göran wurde 1967 in Schweden geboren und lebt seit 1990 in Wien. Er spricht fließend Deutsch, Englisch und Schwedisch. Lebenslauf und Werdegang: Oxford Encyclopedia | LinkedIn | XING
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